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09.07.2015

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Das Ende der Partnerschaft (?)

[LD]

 

Eine Form von Beziehung, die man zwar praktisch aus jedem Umfeld kennt, die viele auch selbst schon erlebt haben, oder noch erleben werden, die aber niemand so recht erklären kann, ist jene, die wir gemeinhin "Halb-Beziehung" oder "Freundschaft Plus" nennen. Eine verwirrte Form des Zusammenseins, die wir auf Nachfrage von Außenstehenden gern auch ganz verlegen und über uns selbst verdutzt umschreiben mit Worten wie: "ich weiss nicht so genau".

 

Nichts Halbes und nichts Ganzes

Eine zu erklären versuchende Begrifflichkeit aus der Trendforschung für genau dieses schier unerklärliche Phänomen ist das Wort "Mingle": Eine Wortschöpfung aus "mixed" und "Single".
Dieser Begriff, der noch nicht so gebräuchlich ist wie "Fuckbuddy" oder "Freunde mit Vorzügen", beschreibt Beziehungen, in denen man miteinander schläft, miteinander Zeit verbringt, aber dennoch nicht offiziell ein Paar ist.
Er versucht zu definieren, was nicht definiert ist - und scheitert dabei an seiner Selbst.

Irgendwie ist man offiziell noch Single, doch irgendwie vermischt man diese Lebensweise jedoch mit der Lebensweise eines Pärchens. Irgendwie steht alles kopf, und irgendwie weiss man garnicht warum eigentlich.

So trifft man bspw. einen Menschen, den man anziehend findet. Man lernt sich kennen, man mag sich, kann sich gut riechen, man küsst sich, man trifft sich wieder, schreibt sich sukzessive Nachrichten und telefoniert miteinander. Nach kurzer Zeit hat man das erste Mal Sex miteinander, und dann will man mehr. Man trifft sich immer wieder, in divergenten Abständen. Man geht gemeinsam aus, zum Essen, ins Kino, auf Märkte. Manchmal hört man ein paar Tage nichts voneinander, doch man nimmt das als "Normalität" hin, denn jeder lebt ja sein eigenes Leben.

Während diese einsame Zweisamkeit so vor sich hin plätschert, kommen über kurz oder lang diese Fragen auf: Was ist das jetzt eigentlich? Sind wir zusammen? Sind wir Freunde? Was denkt mein Gegenüber? Stellen wir uns unseren Eltern vor? Schenken wir uns etwas zum Geburtstag? Ist es jetzt offiziell? Ist es unser Geheimnis? Sind da noch andere? Wie wichtig ist das? Wie ernst ist das? Was ist das überhaupt?

 

Die Beziehung in der Schwebe

Die Zeiten, in denen der erste gemeinsame Kuss, oder spätestens der erste gemeinsame Sex, es besiegelten, es für beide deutlich machten, dass hier nun eine besondere und exklusive Beziehung zwischen zwei Menschen stattfindet, sind vorbei. Leider.
Heute ist sowohl die platonische als auch die amouröse oder erotische Beziehung zwischen zwei Menschen ein purer Drahtseilakt auf den Gefühlen beider. Sie ist kompliziert, undeutlich, missverständlich und missverstanden; sie ist anstrengend, zermürbend, kraftraubend anstatt kraftspendend; sie ist nicht offen genug, nicht vertraut genug - sie ist für beide nicht fair.

Man macht es sich scheinbar einfach, man führt halbe Beziehungen, bei denen man nicht schlussmachen muss, und weniger Verantwortung zu haben glaubt.
Für viele kann das eine Qual bedeuten.

Viele Leute wissen nicht mehr, ob sie nun in einer Beziehung sind oder nicht. Und sie sind von Fragen geplagt: Blamiert man sich, wenn man eine Beziehung vermutet, wo der andere "nur" eine Affäre sieht? Kann man sich selbst noch im Spiegel anschauen, wenn man dem Gegenüber offenbart, dass man mehr möchte? Gibt man zu viel von sich preis, wenn man Klarheit verlangt? Ist es überhaupt noch "politisch korrekt", Klarheit einzufordern?

Es ist wie eine Falle: Verlangt, fragt, fordert man zu viel, läuft man Gefahr, den anderen zu verschrecken und zu vertreiben. Macht man das Ganze mit, leidet man unter dieser quälenden Ungewissheit, dem Gefühl hier die ganze Zeit irgendwie hingehalten zu werden.
Wohl fehlt das Wissen, dass es doch mit keinem Partner auf Dauer hundertprozentig perfekt läuft. Es fehlen Mut und Selbstbewusstsein, Dinge an- und auszusprechen. Es herrschen Unsicherheiten über Dynamiken in Beziehungen. Und so landet man allzu schnell in einer emotionalen, psychischen, soziologischen Falle.

In Studien zu diversen Themen ist durchweg auffällig, dass zahlreiche Teilnehmer bei den Angaben zum eigenen Beziehungsstatus keinerlei klare Antworten geben können. Sind sie nun alleinstehend oder in einer Beziehung? Viele wissen es einfach nicht mehr.
Nicht wenige berichten, sie würden sich zwar mit jemandem treffen, aber was genau das sei, das könnten sie nicht sagen.

 

Partnerschaft im Endstadium des Kapitalismus

Es gibt verschiedene Gründe für die "Neue Unverbindlichkeit". Der zentrale Punkt ist wohl die Angst, zu viele vielleicht bessere Möglichkeiten auszuschließen, wenn man sich eindeutig zu einem Menschen bekennt.

"Der Partnermarkt funktioniert zunehmend nach dem kapitalistischen Gedanken der Gesellschaft" - sagt Lisa Fischbach, Psychologin bei Elite-Partner - "Da ist die ständige Optimierungstendenz, der Gedanke, dass es vielleicht noch einen Besseren gibt."

Das ist insofern problematisch, weil es eine permanente Unruhe und Verunsicherung erzeugt, die auf dauerhafte Bindung und Geborgenheit kontraproduktiv wirkt.
Jemand, der glaubt, er könne auf Irden jemanden finden, der wirklich alle persönlichen Ansprüche erfüllt, kann mit jemandem, der nur einige dieser Ansprüche erfüllt, nicht bedingungslos glücklich werden.
Daraus resultiert eine Angst vor zu großer Nähe zu diesem Jemand – denn mit dieser Nähe käme der Zeitpunkt, an dem man sich zu dieser Person bekennen müsste.
So geraten wir schnell in die Halb-Beziehungssituation und verfangen uns darin - oftmals, ohne dass wir es bewusst bemerken.

Doch nicht nur die Angst, etwas zu verpassen, wenn man sich bekennt, bremst den Bindungswillen. Auch der Drang nach Selbstverwirklichung stellt sich dem bekennenden Pärchendasein entgegen.

Die wissenschaftliche Narration stellt hierzu Folgendes fest: Die Menschen haben eine immer größere Sehnsucht nach Freiheit. Also versuchen sie auch, so eine offizielle Entscheidung für eine Beziehung so lange wie möglich hinauszuschieben. Die brächte schließlich weitere Verpflichtungen mit sich. Da kämen dann Fragen nach einer gemeinsamen Wohnung oder Kindern auf. Deshalb bleibe man heutzutage lieber in einer "mittleren Unsicherheitsposition".

Auch wenn heutige junge Menschen sich theoretisch eine vertraute Beziehung wünschten – eine Studie belegte unlängst, dass 56 Prozent der unter 24-Jährigen eine Partnerschaft für "das Wichtigste im Leben" halten –, so sieht unsere gelebte Realität leider anders aus.

Die Sehnsucht nach einer festeren Beziehung ist da. Sobald sich aber Komplikationen auftun, lebt man lieber noch ein wenig länger sein buntes junges Leben.

Es gibt ein enormes Spannungsfeld zwischen Wunsch und Wirklichkeit diesertage.

 

Das Ende der Partnerschaft?

Jemand, der sich nicht binden möchte, dabei aber widersprüchliche Signale an jemand anderen sendet, weil er z.B. ganz gerne mal ein Wochenende mit der Person auf dem Sofa kuschelt, nimmt damit jedoch inkauf, dass der andere sich Mehr erhofft, wo nicht Mehr sein soll, und fügt diesem Partner (der ja keiner sein soll) nachhaltigen Schaden zu.

Aus diesem Dilemma hinaus hilft nur bedingungslose Offenheit. Ehrlichkeit. Loyalität.

Es macht traurig, das Gefühl zu haben, nicht zu genügen, und nur der Lückenbüßer zu sein, bis etwas Besseres kommt. Und es kann dauerhaft Probleme im Leben des anderen verursachen, wenn er dann selbst in der folgenden Paar-Situation zögert und zaudert, weil er Angst hat, wieder so verletzt zu werden.

Ewiggestrige Rollenklischees berichten davon, dass Männer per Natur ihr Selbstwertgefühl nicht aus Partnerschaft und Ehe gewännen, und die Frauen sich über Partner und Familie definierten.
Es mag fürwahr lange Zeiten gegeben haben, in denen dies zutraf. - Doch heutzutage ist wohl nichts falscher als dieser althergebrachte Glaube.

Wir ertrinken in Klischees, unter denen wir alle gleichermaßen leiden. Und wir tun unseren Schmerz und den Groll und die Verwirrtheit darüber im Stillen mit Floskeln ab, Floskeln wie:
"Ach, das ist doch alles biologisch vorherbestimmt".

Dabei ist es das vermutlich garnicht – vielmehr ist es anerzogen.



 

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